Wir begleiten unsere Freundin Heidi, welche eine Rundreise in England unternimmt und vergessen hat, die Landessprache mit ins Gepäck zu nehmen – Episode 4

Ich frage mich zur Tourist Info durch und sammle dort einen Stadtplan und Infobroschüren ein. Dann gehe ich die letzten Meter hinunter zur Uferpromenade. Die Sonne ist tatsächlich herausgekommen, das Wasser glitzert und um mich herum herrscht buntes Treiben. Faszinierend finde ich all die Palmen, die hier am „Quay“ in großen Behältern stehen. Halten die tatsächlich den Winter durch? Ich setze mich auf eine Bank und blättere meine Schätze durch. Die Bilder sehen sehr verlockend aus, und ich nehme mir vor, unbedingt den „Beach“ in Sandbanks aufzusuchen. Als ich dann aber das Schild „Ferry to Brownsea Island“ sehe, und die nächste Abfahrt in zehn Minuten, plane ich schnell um: Eine Schiffstour zur nächsten Insel in dieser riesigen Bucht Poole Harbour, das wäre es doch jetzt!

Ich sitze oben an Deck, esse die Scones, die ich auf die Schnelle noch erstanden habe, und kann mich nicht sattsehen an dem Panorama, das sich nun vor mir entfaltet. Kleine und größere Schiffe teilen das Wasser mit uns. Als Landratte finde ich das alles sehr idyllisch, der Fahrtwind ist angenehm und seekrank werde ich auch nicht. Im Faltblatt über Brownsea Island lese ich mir noch mithilfe des Wörterbuches an, dass dort das erste Pfadfinderlager stattfand, und dass der größte Teil heute Naturschutzgebiet ist. Am Ufer sieht man aber außerdem ein riesiges schlossartiges Gebäude stehen. England eben!

Inselabenteuer

Wir legen an, und der Kapitän verabschiedet sich von uns mit einer Durchsage – glaube ich jedenfalls. Es ist schwer zu verstehen. Es sind nur wenige, die aussteigen wollen, aber viele, die zurückwollen. Der Matrose, der mich an Land lässt, fragt etwas, das ich auch nicht verstehe, deshalb lächle ich ihn nur an und sage „Good bye“. Die Neugierde drängt mich ich die kleinen Gassen. Und dann schluckt mich der Wald. Plötzlich wirkt alles so weit weg. Ein Pfau schlägt vor mir ein Rad. Nach dem Tag in London gestern ist es angenehm, ausschreiten zu können und saubere Luft zu atmen. Ich laufe und laufe und genieße die Ruhe. Ich treffe keine anderen Menschen, was ich etwas seltsam finde, denn schließlich bin ich ja gar nicht weit weg von der Zivilisation. Aber schließlich ist Mittwoch, vielleicht nicht der Tag, an dem normale Leute einen Ausflug machen wollen.

Dann fällt mir ein, dass ich vielleicht mal nachsehen sollte, wann ein Schiff zurückfährt. Mein Eindruck war, dass sie sehr häufig fahren, aber wie lange? Meine Uhr sagt, dass es zehn vor fünf ist. Das ist doch eine zivile Zeit? Ich grübele auch über die Durchsage nach, die der Kapitän von sich ließ, bevor ich an Land ging. Sagte er nicht irgendwas über fünf Uhr? Und was wollte der Matrose eigentlich? Ich werde jetzt doch ein bisschen unruhig. Es dauert allerdings noch eine halbe Stunde, bis ich zurück am Anleger bin. Der Geschenkeladen und das Café haben jetzt geschlossen, stelle ich fest. Kein Schiff, keine Wartenden, niemand. Was, wenn kein Schiff mehr kommt? Zum Schwimmen ist es etwas weit. Ist es möglich, in Sichtweite einer Stadt wie Poole zu stranden wie Robinson Crusoe? Und ich habe nicht mal ein Handy.

Die Rettung

Während ich noch versuche, irgendwo hilfreiche Information zu finden, sehe ich eine Frau in Richtung des Steges mit den kleineren Booten gehen. Ich eile ihr hinterher. „Excuse me, when comes the next ship?“ Sie guckt mich an. „You missed the last one. There’s no more ferry today.“ „What?“ „There’s no ferry after five o’clock. Didn’t they tell you?“ Tja. Wahrscheinlich schon. Aber das hilft mir jetzt auch nicht mehr. „How can I come back to the city now?“ Die Frau ist ungefähr in meinem Alter. Ich wüsste jetzt gerne, was sie denkt. Bin ich die Erste, der das passiert? Was machen andere Leute dann? Hält sie mich für total blöd? „You can come with me“, sagt sie und zeigt auf den Steg.

Die Frau stellt sich als Sue vor, und so heißt auch ihr kleines Motorboot. Ich bekomme eine Schwimmweste, die ich unter ihrem kritischen Blick anlege, und dann brausen wir davon. Ich kralle mich fest, denn die Fahrt ist deutlich holpriger als mit der Fähre, aber ich bin erleichtert. Noch einmal gerettet, denke ich. Heute Abend brauche ich keinen Krimi zum Einschlafen.

Fortsetzung folgt…

10. September 2020
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